Telefone abhören, bespitzeln und Post
beschlagnahmen ohne konkreten Verdacht: Die CSU verschärft das
bayerische Polizeirecht und greift damit in die Grundrechte ein.
Von
Frida Thurm
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Der bayerische Innenminister schwärmt: Der Freistaat habe schon heute das "effektivste Polizeirecht in ganz Deutschland". Joachim Herrmann
sagt außerdem, das neue Polizeigesetz, das die CSU im Mai im Landtag
verabschieden will, werde noch effektiver im Kampf gegen Kriminelle und
Terroristen sein.
Doch bei anderen weckt dieses neue Gesetz Angst: Eine so umfassende
Eingriffs- und Kontrollbefugnis in die Lebensweise und Privatsphäre
habe keine deutsche Behörde seit 1945 besessen, schreibt ein von der
Opposition beauftragter Gutachter. Das neue Gesetz wird es der
bayerischen Polizei erlauben, tief in die Grundrechte der Bürger
einzugreifen, und zwar lange bevor eine konkrete Gefahr besteht.
Ein erster Schritt in diese Richtung war das bereits im vergangenen
Sommer vom bayerischen Parlament beschlossene "Gesetz zur effektiveren
Überwachung gefährlicher Personen". Es ermöglicht, terroristische Gefährder einfacher in Haft zu nehmen.
Personen also, denen die Polizei eine Straftat in näherer Zukunft
zutraut, die aber noch keine begangen haben. Seitdem ist es laut
Polizeiaufgabengesetz möglich, Menschen theoretisch unbegrenzt in Haft
zu nehmen oder zum Tragen einer Fußfessel zu verpflichten.
Die Grünen reichen Klage ein
Die
Grünenfraktion hat am heutigen Mittwoch Klage gegen dieses Gesetz
eingereicht. Sie hält den dort verwendeten Begriff der "drohenden
Gefahr" für
verfassungswidrig. Der taucht nun auch in der geplanten Novellierung des
Polizeigesetzes auf. Deshalb sagt Katharina Schulze, innenpolitische
Sprecherin der Grünen im bayerischen Landtag: "Wenn nicht massiv
nachgebessert wird, werden wir auch gegen das neue Polizeigesetz
klagen." Mit großen Änderungen rechnet Schulze allerdings nicht, sie ist
überzeugt: Die CSU wolle das Gesetz bis zur Sommerpause durchpeitschen,
damit es noch vor der Landtagswahl im Oktober in Kraft tritt.
Die Polizei wird mit dem neuen Gesetz unter anderem ohne konkreten
Verdacht Personen durchsuchen können, ihre Telefone abhören, Computer
und online gespeicherte Daten auslesen oder verdeckte Ermittler gegen
sie einsetzen – und die so gewonnenen Erkenntnisse auch an
Nachrichtendienste weitergeben. Das alles wird durch die Kategorie der
"drohenden Gefahr" möglich. Nach den aktuellen Plänen soll sie nicht nur
in der Terrorismusbekämpfung polizeiliche Maßnahmen rechtfertigen.
Bisher muss eine Gefahr konkret bevorstehen, wenn die Polizei präventiv
eingreifen will. Wenn es jedoch künftig nur um eine "drohende Gefahr"
geht, darf die Polizei auch eingreifen, wenn noch keine Straftaten
begangen wurden – und zumindest unsicher ist, ob sie jemals stattfinden.
"Sicherheit durch Stärke" heißt das Programm, in dem die CSU seit zwei
Jahren den Ausbau der Polizei vorantreibt, dazu gehören auch 2.000
neu geschaffene Polizeistellen. Nach der geplanten Gesetzesnovelle
soll die Polizei nicht nur früher eingreifen können, sondern etwa auch Informationen aus DNA-Spuren zur Fahndung
verwenden dürfen, die auf Geschlecht, Haar-, Augen- und Hautfarbe
schließen lassen. Außerdem soll sie Handgranaten und andere
Explosivstoffe nutzen können.
Selbst die bayerische Gewerkschaft der Polizei ist das zu extrem,
sie schreibt in ihrer offiziellen Stellungnahme zum Gesetz: "Hier wird
wohl vorsorglich die Rechtsgrundlage beim Einsatz der Bundeswehr im
Innern mit schweren Waffen geschaffen, denn solche Waffen mit
Sprenggeschossen hat die Polizei aktuell nicht im Streifendienst."
Schulze sagt: "Der Überwachungswahn der CSU gefährdet
Freiheitsrechte." Sie sieht das Trennungsgebot zwischen Polizei und
Geheimdiensten in
Gefahr. "Damit werden die Befugnisse der Polizei massiv ausgeweitet, das
ist die Vernachrichtendienstlichung der Polizei."
Wie lassen sich die Grundrechte schützen?
Markus Thiel, Professor für Polizeirecht an der Deutschen Hochschule
der Polizei Münster, sieht in dem neuen Gesetz jedoch auch positive
Änderungen. Er sagt, Polizeirecht greife immer in Grundrechte ein,
"deshalb geht es immer auch um die Frage: 'Wie kann ich die schützen?'".
Im bayerischen Entwurf geschehe das teilweise per Richtervorbehalt:
Will die Polizei etwa künftig V-Leute einsetzen oder Post
beschlagnahmen, muss sie eine gerichtliche Genehmigung einholen. In
bestimmten Bereichen kann das neues Gesetz also stärker von außen
kontrolliert werden als vorher. Zwar hält Thiel das Gesetz ebenfalls für
eine deutliche Ausweitung der polizeilichen Befugnisse, aber er sieht
auch den Nutzen.
Die geplanten Änderungen regelten nämlich auch den Einsatz von
Drohnen oder Bodycams, ebenso wie die Durchsuchung von Daten in der
Cloud. Das trage dem technischen Fortschritt Rechnung. "Die Polizei
hinkt ihren Kunden ja traditionell hinterher."
Bayern ist nur der Anfang
Auch Peter Schall, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei
(GdP), sagt: "In dem Gesetz ist vieles drin, was wir als Polizei
begrüßen." Die "drohende Gefahr" einzuführen sei in "der heutigen
Sicherheitslage" sinnvoll. "Das nimmt auch eine gewisse Verantwortung
von den Kollegen vor Ort. Die mussten bisher konkret begründen, warum
sie etwa ein Fahrzeug kontrolliert haben."
Doch auch die GdP hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen die
praktisch unbegrenzte Haft für Gefährder. Denn obwohl alle drei Monate
ein Richter die Haft prüfen muss, hält Schall es für unwahrscheinlich,
dass ein Gefährder aus dem Gefängnis heraus seine Harmlosigkeit beweisen
kann. "Wer hätte nach dem Fall Amri noch den Mumm zu sagen: 'Dieser
Gefährder ist nicht mehr gefährlich'?"
Markus Löffelmann, Richter am Landgericht München, hat als Experte
für die SPD den Gesetzentwurf begutachtet. Er kritisiert: "Damit sind
nach dem Entwurf mit Ausnahme der Wohnraumüberwachung und der
Rasterfahndung sämtliche polizeilichen Befugnisse unter bestimmten
Voraussetzungen schon ab der Schwelle einer drohenden Gefahr verfügbar."
Den Begriff der "drohenden Gefahr" hat sich das bayerische
Innenministerium jedoch nicht ausgedacht, er stammt vom
Bundesverfassungsgericht. Das hatte 2016 Teile des Bundeskriminalamtgesetzes gekippt, weil heimliche Überwachungsmaßnahmen, die
dort geplant waren, nur zum Schutz gewichtiger Rechtsgüter zulässig
seien (also zum Beispiel dem Schutz von Leib und Leben) und nur wenn
sich die Gefahr dafür absehen lässt.
Allerdings gestand das
Verfassungsgericht zu, dass neben den bis dahin geltenden Kategorien der
konkreten, unmittelbar bevorstehenden und gegenwärtigen Gefahr eine
weitere hinzukommt, die noch etwas ferner in der Zukunft liegt: die
drohende Gefahr. Einer der von der CSU beauftragten Gutachter kommt
deshalb auch zu dem Schluss, dass sich das neue Gesetz "im Grunde auf
verfassungsrechtlich sicherem Boden" bewege.
Ein Musterpolizeigesetz für alle Bundesländer
Was Bayern gerade vormacht, ist nur der Anfang.
"Alle Bundesländer
müssen ihre Polizeigesetze an die EU-Datenschutzrichtlinie und das
BKA-Urteil anpassen", sagt Thiel. In diesem Zuge werden viele
Bundesländer wohl auch die Kompetenzen der Polizei erweitern, erwartet
er. In Nordrhein-Westfalen ist das bereits in Planung, auch hier stehe
die "drohende Gefahr" im Gesetzesentwurf.
Das Vorbild vom bayerischen Polizeigesetz könnte außerdem
Auswirkungen auf das sogenannte Musterpolizeigesetz haben, das Thiel
gemeinsam mit anderen Experten für die Innenministerkonferenz
erarbeitet.
Eine Vorlage, an der sich die Bundesländer künftig
orientieren können. So soll nach Willen der Innenminister und auch der neuen Bundesregierung
eine einheitlichere Sicherheitsstruktur geschaffen werden, obwohl
Polizei Sache der Bundesländer ist. Ob die Länder das Gesetz ganz
übernehmen, nur in Teilen oder gar nicht, ist aber ihnen selbst
überlassen.
Noch sei unklar, sagt Thiel, ob dieses Mustergesetz ein Kompromiss
zwischen härteren und weniger harten Regelungen oder eher eine
Maximalversion des verfassungsrechtlich Möglichen sein wird.Die "drohende Gefahr" könne dort jedoch nur eine Rolle spielen, wenn sie auch genau definiert wird.
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